100 Jahre La Rinascente

Wie kaum ein anderes Unternehmen hat das 1917 vom Poeten d’Annunzio „La Rinascente“ (die wieder Auflebende) getaufte Kaufhaus durch sein experimentell gestaltetes Erscheinungsbild und seine kreative Verkaufsstrategie das sich stetig wandelnde Lebensgefühl eines ganzen Jahrhunderts geprägt. Gleich zwei Ausstellungen und ein historisches Onlinearchiv arbeiten derzeit diese einmalige Firmengeschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf.

Das auf Grafik spezialisierte Max Huber Museo in Chiasso konzentriert sich auf die Entwicklung der grafischen „Coorporate Identity“. In den gemalten „Cartelloni“ vom Jugendstil bis zur Faschismusästhetik erfindet Marcello Dudovich die Frau neu zwischen Freizeitaktivistin, eleganter Dame oder glücklicher Hausfrau. Als die „Rinascente“ zum dritten Mal aus der Asche wiedergeboren wurde, nach dem ersten Weltkrieg 1917, dem Brand 1918 und dem Bombardement 1943 wurde auch in Bezug auf das Marketing eine noch nie gesehene schöpferische Ära eingeläutet. Von den fünfziger bis zu den siebziger Jahren liefen die kreativsten Schweizer Köpfe heiss im siebten Stock an der Piazza Duomo in Milano: vom Logo, dem Einpackpapier (Max Huber), über die Art-Direction (Amneris Latis), die Illustrationen (Lora Lamm), die Vitrinen (Albe Steiner) oder die Fotografien (Serge Libiszewski) entstanden komplett durchkomponierte Inszenierungen eines Lebensgefühls als Identifikationsmodell für sie und ihn. Die Passant/-innen wurden direkt von der Strasse durch die hervorragend gestilten Vitrinenszenografien abgeholt und über die ästhetisch durchdachten Ausstellungsdisplays zum modischen „Must Have“ verführt. Die brillantesten italienischen Kreativen haben in der Rinascente ihre ersten Gehversuche gemacht: Gio Ponti, Bruno Munari, Ottavio Missoni, Giorgio Armani und Oliviero Toscani.
Die Ausstellung im Palazzo Reale in Mailand rollt hingegen in einem vielseitig architektonisch orchestrierten Display in den 11 Zimmern des Prinzen die Unternehmensgeschichte auf. In jedem Raum haben die Architekten von OMA eine eigens designte Idee entwickelt und lassen den Ausstellungsbesuch so zu einer multimedialen ästhetischen Erfahrung werden: Raumcollagen, animierte Videos, Allroundinstallationen mit drehenden Bildern, gigantische Schubladen mit Postern zum rausziehen, Stellwände auf Steinsockeln, in Tische gesteckte Fotografien und Texte. Wer nach dem tiefen Eintauchen in die Geschichte der Erfinder der „Coorporate Identity“ den Mailänder Domplatz überquert, wird mit den Menschenmassen eingesogen von der ‹Rinascente› wie sie leibt und lebt: das Urteil, ob der kulturelle, ästhetische und pädagogische Anspruch über das Konsumverhalten hinaus auch heute noch Bestand hat, sei Jeder und Jedem selber überlassen.



20.5.-24.9. 2017

Max Museo Chiasso / Palazzo Reale Milano


Published in
Kunstbulletin 9/2017


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