A. R. Penck

Mendrisio – Die Mauer im Kopf, die Grenzsoldaten im Nacken, die Stasi im Wohnzimmer. A. R. Penck schafft es im Untergrund, durch Hasensätze, Versteckspiele und Zirkusakte, sich und sein Werk dem Zugriff des DDR-Regimes zu entziehen. Den Geheimdienst an den Fersen, hetzt ein Pseudonym das nächste: Ralf Winkler wird A. R. Penck, alias Mike Hammer, T.M. oder Y. Übrigens war Albrecht Penck, die Inspirationsquelle für sein Pseudonym, Geologe und Glazialforscher – eine bedeutungsvolle Wahl!

Das Museo d’Arte in Mendrisio widmet A. R. Penck die erste Retrospektive in italienischsprachiger Umgebung: Skizzenbücher, Gouachen, Malereien und Skulpturen zeugen von der erkenntnistheoretischen und gestalterischen Suchbewegung und der analytischen und körperlichen Kraft des autodidaktischen DDR-Künstlers.
Dem dogmatischen und einfach gestrickten sozialistischen Realismus, in dem der „Kitschstaat Deutschland“ von der Malerei „ein lächelndes Mädchen mit einem Blumenstrauss in der Hand“ forderte, setzte er ein von Zeichen und Farben komplex wimmelndes Universum entgegen. Die ‹Standarts›, ‹Weltbilder› und ‹Systembilder› des Dresdners strotzen vor Energie, Ironie und analytischer Intelligenz. Sie sind abstrakte Übersetzungen einer dichotomisch-dogmatischen Welt, hieroglyphische Reduktionen standardisierter Machtkonstellationen und sozialer Archetypen. Die frühen Bilder der 60er Jahre sind noch kleinformatig und zeichnen sich aus durch aufgewühlte und obsessiv übermalte Figuren in unkontrollierten Mischfarben. 1980 wurde der aufmüpfige Künstler, obwohl er ein Parteibuch besass, aus dem Arbeiter- und Bauernstaat zwangsausgewiesen. Ab da erstrahlen seine nun ins Unermessliche wachsenden Leinwände in klar entschiedenen Farben erster oder zweiter Ordnung. Im quadratischen, grossdimensionalen ‹How it works› verschlingt ein roter Löwe eine schwarze Gazelle vor grünem Hintergrund. Die natürliche Selektion greift nicht nur im Tierreich. Ob Sozialismus oder Kapitalismus, in einem System brutaler Kontraste werden die Schwächeren von den Stärkeren zerfleischt. Auch im Monumentalwerk ‹The Battlefield› kommt die Menschheit nicht viel besser weg: Mord und Totschlag, Säbelrasseln und Vergewaltigung, Atombomben und genetische Mutationen erschüttern die Welt. A. R. Penck ist ein Kind seiner Zeit. Er analysiert und kommentiert die menschlichen Widersprüche, Greueltaten und Abgründe. Aber vor allem gelingt es ihm, über sein individuelles Empfinden hinaus, universelle Erkenntnis zu vermitteln.



24.10.21-13.2.22
Exhibition
Mendrisio Museo d’Arte


Published in
Kunstbulletin 12/2021

A. R. Penck, How it works, 1989, Acryl auf Leinwand, 340 x 340 cm, © 2021, ProLitteris, Zurich
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A. R. Penck, How it works, 1989, Acryl auf Leinwand, 340 x 340 cm, © 2021, ProLitteris, Zurich

A. R. Penck, The Battlefield, 1989, Acryl auf Leinwand, 340 x 1022 cm, © 2021, ProLitteris, Zurich
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A. R. Penck, The Battlefield, 1989, Acryl auf Leinwand, 340 x 1022 cm, © 2021, ProLitteris, Zurich

A. R. Penck, Ich, 88, 1988 Mischtechnik auf Karton, 200 x 150 come, © 2021, ProLitteris, Zurich
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A. R. Penck, Ich, 88, 1988 Mischtechnik auf Karton, 200 x 150 come, © 2021, ProLitteris, Zurich

A. R. Penck, Situation ganz ohne Schwarz, 2001, Acryl auf Leinwand, 200 x 300 come, Galeria Fernando Santos, Porto © 2021, ProLitteris, Zurich
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A. R. Penck, Situation ganz ohne Schwarz, 2001, Acryl auf Leinwand, 200 x 300 come, Galeria Fernando Santos, Porto © 2021, ProLitteris, Zurich