Annelies Štrba, Noonday
Castasegna - Über dem Zoll, welcher das Veltlin vom Bergell trennt, erhebt sich die Villa Garbald, das einzige Gebäude des ETH Erbauers Gottfried Semper auf der Alpensüdseite.
Es beherbergt heute neben einem Seminarzentrum die Fondazione Garbald. Andrea Garbald, der kinderlose Erbe eines kulturfreundlichen und weltoffenen Zollbeamten und seiner Frau, hat Anfangs des 20. Jahrhunderts als Berufsfotograf konsequent die Bergeller Bevölkerung porträtiert. Dieser beeindruckende Fundus von 900 Fotografien wurde im Estrich der Villa entdeckt und wird nun vom Bündner Kunstmuseum Chur archiviert. Aus diesem Zusammenhang ist das Ausstellungsprojekt Villa Garbald entstanden mit Schwerpunkt Fotografie. Jedes Jahr bespielt ein/e Fotograf/in die Räume der Villa und des neuen Annexbaus der Architekten Miller & Maranta. Die Wahl von Annelies Štrba überzeugt aus mehrfacher Hinsicht. Zum einen weist ihre Arbeit Parallelen zum Werk von Garbald auf, zum anderen passen ihre Sujets perfekt in die klausenartigen Räume. Beide Fotografen untersuchen ihr nächstes Umfeld. Štrba lichtet seit Jahrzehnten Familienszenen ab in intimen, fast geheimnisvollen Räumen. Die Sujets – ihre drei Kinder vorerst, ihre fünf Enkel danach – integrieren sich visuell perfekt in ihrem Umfeld. Die Aufnahmen sind meist Halbtotale, nur sehr selten rückt die Kamera den Figuren auf den Leib. Die Räume spielen so in der Inszenierung eine Hauptrolle, denn sie schaffen eine mysteriöse, entrückte Stimmung. Die Bilder von Annelies Štrba sind zwar inszeniert, aber nie gestellt. Wir Betrachtenden stehen mittendrin und werden Teil der Familie. Die Bilder der Zürcher Künstlerin sind entweder schwarz-weiss oder extrem bunt. Die Farblichkeit wird digital nachbearbeitet und verstärkt. Bei den schwarz-weissen Porträts der Bergeller Frauen von Andrea Garbald hingegen handelt es sich um Studioaufnahmen. Das Kameraauge ist auf die Büste, seltener auf den ganzen Körper der abgelichteten Frauen gerichtet. Der Umraum ist neutral und kaum lesbar. Was beide Arbeiten hingegen klar verbindet sind ihre Sujets: die Frauen spielen eine fundamentale Rolle. Beide Fotografen sind dem Piktorialismus verpflichtet, aber während Garbald an die rationalen Kategorien von Sanders neuer Sachlichkeit erinnert, wähnen wir uns bei Štrba eher in den postromantischen Darstellungen der Präraffaelliten. Bewusst wurden die Fotografien der Serie ‹Noonday› in kleinen Bilderrahmen sorgfältig in den Hotelzimmern platziert und es wurde auf eine installative Interaktion mit dem Raum verzichtet. Mit dieser Art der traditionellen Hängung, welche wir eher aus Privaträumen kennen, wird die Intimität der Bilder und ihr Zusammenhang mit dem häuslichen Kontext unterstrichen. Die Rechnung geht auf.