Carsten Höller “Doubt”

Carsten Höllers Skeptizismus greift über Fragen der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis hinaus und sucht das körperlich-geistige Selbstverständnis der Betrachtenden durch destabilisierende Wahrnehmung zu entwurzeln. Jede der in seiner Schau ‹Doubt› gezeigten rund zwanzig Arbeiten bezieht in ihrer spezifischen Versuchsanordnung das Publikum mit ein. Wie in einem Erlebnispark werden die Besuchenden ungewohnten Sichtweisen und Körpererfahrungen in einem präzis orchestrierten Durchlauf ausgesetzt.

Bereits beim Eingang treten Zweifel auf: Im Innern des von konzentrischen Lichtkreisen umspannten ‹Y›-Korridors muss die erste Entscheidung gefällt werden. Gehe ich links oder rechts? Folge ich dem gelben oder dem grünen Teil der ‹Divisions Wall›? Sogleich wird die Verwirrung total: Im ellenlangen, stockdunklen Labyrinth des ‹Decision Corridor› tasten wir uns unsicher weiter. Decke und Boden lösen sich auf, bis nach einer Ewigkeit ein Lichtschimmer auftaucht. In der sich nun offenbarenden Ausstellungshalle sind die Werke in zwei Hälften angeordnet. Das in Zeitlupe drehende ‹Doppelte Karussell›, das von innen beobachtbare Aquarium, die ‹Flying Mushrooms›, die auszuprobierenden Flugmaschinen oder der kongolesische ‹Fara Fara›-Musikfilm sind in beiden Raumhälften gespiegelt installiert. In der Mitte wird die Halle durch eine Mauer getrennt, die, überzogen mit den optisch irritierenden ‹Zöllner Streifen›, unsere Wahrnehmung weiter an die Grenzen treibt. Die scheinbar auseinanderdriftenden Streifen sind in Wirklichkeit parallel. Auch die symmetrisch in beiden Raumteilen installierte Videoarbeit ‹Twins› nimmt die Idee der Spiegelung auf: Links und rechts befindet sich je das Video eines eineiigen Zwillings. In den schwarz-weissen Porträtaufnahmen sagt der eine: «I always say the same of what you say.» Und der andere kontert: «I always say the opposit of what you say.» Im Kreisel von Wiederholung und Widerspruch lösen sich Gewissheiten auf und zementiert sich die Skepsis. Auch wenn Höllers Parcours scheinbar vom Dunkel zum Licht führt, bleibt der Ausgang des Höhlengleichnisses offen: Der grelle ‹Light Corridor› blendet uns und lenkt uns vom Ziel der Erkenntnis ab zu den ‹Two Roaming Beds›. Wer in den GPS-gesteuerten Betten übernachtet, macht im dunklen, menschenleeren Museum eine beinahe metaphysische Erfahrung und wird der Frage überlassen: War doch alles nur ein Traum, eine Täuschung unserer Sinne?



2016

Hangar Bicocca


Published in
Kunstbulletin 8/2016


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Carsten Höller, Two Roaming Beds (Grey), 2015 (Courtesy of the artist and Pirelli HangarBicocca, Milan. Photo: © Attilio Maranzano)
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