Daniel Schwartz – Realismus auf dem Prüfstand
Der Solothurner Fotograf Daniel Schwartz mischt die Werke aus seinem Archiv neu auf und hängt sie nach assoziativen Kriterien. Die bisher mehrheitlich unveröffentlichten, formal präzisen analogen Schwarz-Weiss-Bilder scheuen nicht zurück vor dem krudesten Realismus aus den Krisenregionen der Welt.
Luzern ¬— Wir Betrachtenden streifen durch die Ausstellung von Daniel Schwartz (*1955) im Kunstmuseum Luzern, wie der Fotograf selbst durch die akuten Krisengebiete der Welt. Auf den ersten Blick herrscht ein schwer nachvollziehbares Durcheinander: Wo sind wir, wann und warum? Was hält diese vorwiegend analogen Schwarz-Weiss-Bilder aus Kambodscha, Indien, Indonesien, Vietnam, Afghanistan, Rumänien, Kenya oder Zürich, New York und London der letzten vierzig Jahre im Inneren zusammen? Welche Legende gehört zu welchem Bild? Der Fotograf Daniel Schwartz und der Gastkurator Beat Wismer haben ihre eigenen Ansprüche und den Schwierigkeitsgrad fürs Publikum nach oben geschraubt. Weder geografische noch thematische oder chronologische Kriterien geben den Bildern im Raum eine nachvollziehbare Ordnung, sondern die Ausstellungsmacher spinnen in einem offenen Prozess der Archivanalyse denkerisch rote Fäden. Die komplexen Vernetzungen zwischen den einzelnen Fotografien auf formaler und konzeptueller Ebene, aber auch in Anlehnung an Referenzen aus der Kunst- und Fotografiegeschichte ¬– wie Gustave Courbet, Edward Weston oder Werner Bischof ¬– fordern die Betrachtenden heraus, eigene Interpretationen des Dargestellten zu entwickeln. Wie die Direktorin Fanni Fetzer im Katalog schreibt, sind Bilder nicht per se zugänglich. Es gilt, sie zu lesen. Ich würde ergänzen: Es gilt, sie lesen zu lernen. Bildkompetenz soll – in der digitalisierten Welt umso dringender – geübt sein, wie Musik hören oder Texte lesen.
Sechs Überbegriffe subsumieren in der Ausstellung die fotojournalistischen Werke mit ästhetischem Anspruch: Motiv, Assoziation, Absenz, Form, Beobachtung und Fortdauer. Grundbegriffe künstlerischen Tuns. Motiv: Bildinhalt. Assoziation: formale und inhaltliche Analogie. Absenz: das Nichtgezeigte, Nichtgesagte. Form: gestalterische Mittel der Fotografie. Beobachtung: Wahrnehmung als Voraussetzung des bildnerischen Ausdrucks. Fortdauer: Resilienz in gestalterischen Prozessen.
Schwartz’ Bilder zeigen gesellschaftliche Wirklichkeit und Gewalt schonungslos auf. Beinharte Arbeit, Verstümmelung und Tod einerseits und auf der anderen Seite Luxus, Hektik, Leere, Verlust. Der in der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich ausgebildete Fotograf ist ein bedingungsloser Realist. Er schaut gnadenlos hin und provoziert unweigerlich die Frage, welche Art von Abbildungen gezeigt werden sollen oder dürfen. Seine Bilder sind ein Aufschrei. Erkenntnisse, denen sich unser Bewusstsein heute mehr denn je stellen muss: was können wir tun gegen offene Gewalt und Brutalität? Was, gegen unser Gefühl der Machtlosigkeit?