The Boat is Leaking, The Captain Lied
Allein die Idee, die grosskarätigen Künstler dreier Generationen zusammen den Palazzo Ca’ Corner della Regina interdisziplinär bespielen zu lassen, besticht.
Was die Freunde Anna Viebrock, Alexander Kluge und Thomas Demand mit dem Kurator Udo Kittelmann aus dieser Gelegenheit gezaubert haben, stellt die Kunst, ihre Vermittlung und ihre Betrachtung von der Wurzel her infrage, entblösst deren illusionistischen Charakter und schafft so viele inhaltliche und formale Querverbindungen, dass ihnen kaum allen auf die Spur zu kommen ist. Die Welt ist ein inszeniertes Theaterstück, die Realität ein fiktiver Kinofilm und die Sujets auf den vermeintlich objektiven Fotografien entpuppen sich als minutiös nachgebaute Modelle aus Papier. Alles begann mit einem Dialog: Thomas Demand hat Kluge und Viebrock eine Reproduktion des Bildes „Ultimi… giorni“ (Letzte… Tage) des lombardischen divisionistischen Malers Angelo Morbelli gesandt, das er zufällig entdeckt hatte. Die Beteiligten spekulierten und meinten, es handle sich bei den betagten Herren in den Holzbänken um alte Revolutionäre oder um pensionierte Matrosen. So entstand die Assoziation zum Meer und der Titel, ein Zitat aus dem Lied „Everybody Knows“ von Leonhard Cohen. Die Untergangsmetapher findet sich wieder in Demands Nachkonstruktion des Überwachungsvideos der „Pacific Sun“, einem Schiffsrestaurant, dessen Tische im Sturm wild hin- und her geschleudert werden sowie in den Filmcollagen von Alexander Kluge zu Meeresdramen oder dem Ende des Kapitalismus. Zum gegen die Verzweiflung anspielenden Schiffsorchester der Titanic passt das Bild des Geigenbauerateliers von Thomas Demand und seine Rekonstruktion des Kontrollraums von Fukushima interagiert mit Kluges Tschernobylfilmen. Die Szenografien von Anna Viebrock nehmen die Sujets der beteiligten Künstler auf und verwandeln sie in begehbare Erlebnisräume. So baut die Bühnenbildnerin die Bänke des Pio Albergo Trivulzio auf Morbellis Bild nach und installiert darauf I-pads auf denen die Filmcollagen Kluges zu bewundern sind, oder sie konstruiert den Gerichtsaal aus Kluges Film „Abschied von Gestern“ nach, welcher gleich daneben im von ihr gestalteten Kinosaal zu betrachten ist. Die Bühnenbilder aus früheren Produktionen wurden dermassen glaubwürdig im Palazzo integriert, dass die Betrachtenden zu aktiv Schauspielenden werden, welche die unzähligen Türen öffnen, hinter denen sich wiederum neue Erzählräume öffnen. Das von hinten sichtbare Bühnenbild, entblösst die Virtualität und die Konstruktion der Realität. Aber wenn alles Theater, Kino, oder Modell ist, so sind vielleicht auch das untergehende Schiff und der lügende Kapitän einzig eine Täuschung unserer Sinne.