Give me Yesterday
Eineinhalb Jahre nach der Eröffnung der von Rem Koolhaas projektierten „Fondazione Prada“ in einem umgenutzten Industrieareal im Süden Mailands, macht Miuccia Prada ein weiteres Mal vor, wie das Modegeschäft durch Lifestile und Kultur zu veredeln ist.
Mit ihrem jüngsten Projekt, dem Kunst-Showroom „Osservatorio“ und der Pasticceria Marchesi im Stil des Grand-Hotel Budapest hat sie die Konkurrenz im Wettbewerb der Stadt Mailand um die prestigeträchtigen Räume finanziell ausgestochen: just in der eleganten Jugendstilgalerie Vittorio Emanuele II beim Dom, in der ihr Grossvater und dessen Bruder 1913 ihr erstes Pelzgeschäft eröffnet hatten.
Die Kunsthallen in den obersten Gefilden der Galleria sind schlicht überwältigend. Die riesigen Fensterfronten machen den Blick frei auf die Konstruktion der halbrunden Glas- und Eisenarchitektur und der Kuppel von Giuseppe Mengoni aus der Zeit der Italienischen Vereinigung im 19. Jahrhundert. Aber das Öffnen der Sicht hinter die Kulissen hat auch programmatischen Charakter: Das „Observatorium“ hat sich der Gegenwartsfotografie verschrieben, als Teil des digitalen Kommunikationsflusses in den sozialen Medien. Eine Praxis der jüngsten Künstlergeneration, welche es regelrecht aufzudecken gilt.
Die Eröffnungsausstellung ‹Give me Yesterday›, kuratiert von Francesco Zanot, untersucht die allerjüngsten Positionen der heutigen Bildpraktiken: das „neue Tagebuch“ mittels Fotografie, welche die Spontanität des Schnappschusses hinter sich lässt und durch eine konzeptionell und formal durchdachte und durchwegs inszenierte Selbstdarstellung ersetzt.
Dies kann dramatisch sein: Melanie Bonajo (1978) fotografiert sich jedes Mal, wenn sie weint und Tomé Duarte (1979) schlüpft in die Kleider seiner Freundin, die ihn verlassen hat, um ihr näher zu sein. Oder es kann identitätssuchend sein: Die südafrikanische Künstlerin Lebohang Kganye (1990) montiert ihre Abbilder in die Fotografien ihrer verstorbenen Mutter, während Leigh Ledare (1976) seine Mutter während 8 Jahren in intimen Situationen ablichtet. Oder Beziehungslastig: In der Polaroidserie ‹Ich habe mich distanziert› der Italienerin Irene Fenara (1990) folgt der Abstand des Objektivs der emotiven Distanz zu den abgelichteten Freund/-innen. Aber am frischesten ist die Position der jüngsten Künstlerin Izumi Miyazaki (1994): sie pflanzt ihre Selbstportraits in absurde Situationen und schiesst ihre surrealen Traumwelten mit Lichtgeschwindigkeit ins Netz, wo sie schon als Superstar gehandelt wird. Es ist zu hoffen, dass Miuccia’s Geistesgegenwart und Fantasie der Kulturkrise noch lange die Stirne halten und uns die Augen zu öffnen vermögen.