Ilya & Emilia Kabakov. The Kabakovs and the Avant-Gardes
Die vom russischen Künstlerpaar Ilya und Emilia Kabakov konzipierte Ausstellung im Spazio-01 im LAC Lugano eröffnet durch den Dialog mit der Sammlung Olgiati unerwartete Blickwinkel auf die europäischen Avantgarden Anfang des 20. Jahrhunderts und vermag neue Bezüge und Erkenntnisse zu generieren.
Einer russischen Matrjoschka ähnlich, beinhaltet jede Metaebene die darunterliegende und bietet jeweils eine unterschiedliche Sichtweise. Das Ausstellungsdesign gleicht aus der Luftperspektive einem suprematistischen Bild: Die Stellwände sind als diagonale Kreuze und Linien angelegt. An den Aussenwänden umrahmen die sieben Werke der Kabakovs die 26 hervorragenden Stücke der italienischen und russischen Avantgarden aus der Sammlung Olgiati, die an den Innenwänden hängen. Der Blick der Gegenwartskünstler auf die utopischen Werke der sich gegenseitig beeinflussenden italienischen Futuristen, russischen Kubofuturisten, Suprematisten und Konstruktivisten aus den gärend revolutionären Zeiten nach der Jahrhundertwende fächert sich auf in drei fiktive Künstlerfiguren aus Kabakovs Feder. Charles Rosenthal, kosmopolitischer russischer Jude, Modernist und Suprematist präsentiert aus seinen zwölf Kommentaren über den Suprematismus das Bild ‹Goodbye›. Die Hommage an Malevich ist dessen Kreuz nachempfungen, nur dass aus dem Zentrum Menschen aus Berlin abfahren und mit roten Tüchern aus den Zugfenstern winken. Das Werk ist statt in suprematistischen Primärfarben in abgetönten Pastell- und Braun- oder Grautönen gehalten, um das Ende der Utopie anzudeuten. Das Gemälde ‹The Volleyball Game› des zweiten Alter Ego Igor Spivak, einem nostalgisch sowjetischen Regimekünstler, versetzt uns in die vermeintlich heile Welt der Sowjetpropaganda. ‹Die Parade› und ‹The Toilet in the Corner›, diesmal deklarierte Werke Ilya Kabakovs, stehen für die entmutigte Position des Künstlers, der die letzten Jahre des Stalinismus und die Perestroika erlebt hat und somit das Scheitern der grossen Utopien der Avantgarden am eigenen Leib erfahren hat. Während die filigrane und provisorische Bleistiftzeichnung auf der überdimensionierten Leinwand letztlich die potenzielle Endlichkeit der Machtdemonstration einer Panzerparade darstellt, ertönt aus der Toilette Kabakovs Gesang: der einzige Ort der gangbaren Freiheit, in den die Kontrolle der Staatsmacht und des KGB nicht vordringt. Die letzte Ecke einer denkbaren Utopie in einer desillusionierten Welt?