I Have longed to Move Away

Mit seinem Ausstellungstitel „Ich wollte fort, seit langer Zeit“, aus einer Poesie von Dylan Thomas, spricht Lawrence Carroll die Sehnsucht desjenigen an, der ständig unterwegs sein möchte, äusserlich oder falls körperlich verhindert innerlich: eines von tiefer Unruhe Gejagten, eines durch Neugierde angetriebenen Suchenden.

Als Kind zog Carroll, der von Australien nach Kalifornien eingewandert war, von Zimmer zu Zimmer und probierte alle Räume aus, um zu entscheiden, wo er sich niederlassen wollte. In seinen Malereien sedimentiert sich das Prinzip des nimmer enden wollenden Auskundschaftens in unzählbaren Schichtungen subtiler Tonabstufungen der Leinwandfarbe, welche das vorher Dagewesene immer wieder überdecken, in einem Jahre währenden und immer sichtbare Spuren hinterlassenden Arbeitsprozess. In die unterschiedlich grossen Bildobjekte inkludiert der Künstler Gegenstände oder Zeitungsausschnitte mit bedeutungsvollen Begriffen, wie „Migration“, oder Hommagen an Künstler der Minimal Art und Abstraktion. Carrolls Untersuchungen, was Malerei grundsätzlich sein könnte, übersteigen jedoch die geschichteten Oberflächenbearbeitungen und weiten sich aus in die dritte Dimension: Die Bildobjekte werden zu Schachteln, Beigen, Skulpturen und Bricolagen, welche er sorgfältig aufeinander abgestimmt im Raum installiert. Im Unterschied zu den Minimalkünstlern interessiert Carroll weniger die rationale Seite als der präzise Raumbezug. An Stelle des Heldenhaften, Perfekten, zieht den australischen Künstler das Menschliche, das Unvollkommene an: seine Werke sind voller mit Heftklammern festgemachten Flicken, übereinander geklebten Blumenstoffen, abgesägten und wieder eingefügten Ecken und Fenstern, gelöcherten und ausgeschnittenen Oberflächen. Die Schichtungen von Öl- und Wachsfarben in subtilen Beige-, Gelb- und Hellblautönen zeugen von der vergangenen und nicht wiederkehrenden Zeit, vom Scheitern und vom Neuanfangen. Die Ausstellung in der Villa des Bildhauers Vincenzo Vela aus dem 19. Jahrhundert, wird von einem reichen Programm begleitet: so haben die Soundartisten Steve Piccolo und Gak Sato die Thematiken des Machens und des Scheiterns, des Mysteriösen und des Unerklärbaren in der Kunst in ihrer Performance aufgenommen und den Rundgang durch die Säle mit digital verfremdeten Hammerschlägen und Schleifklängen rhythmisiert. Der räumliche Dialog zwischen den weissen Gipsoriginalen von Vela und den hellen Malereiobjekten von Carroll wird so durch die verzaubernden Klänge von Piccolo und Sato in die vierte Dimension der Zeit überführt.



14.5.-15.10. 2017
Lawrence Caroll
Museo Vincenzo Vela, Lingornetto


Published in
Kunstbulletin 10/2017

Pdf Kunstbulletin 10/2017


Related
Museo Vincenzo Vela
Lawrence Carroll, Sala XVI (Foto Antonio Maniscalco)
1 / 5

Lawrence Carroll, Sala XVI (Foto Antonio Maniscalco)

Lawrence Carroll, Sala VII (Foto Antonio Maniscalco)
2 / 5

Lawrence Carroll, Sala VII (Foto Antonio Maniscalco)

Lawrence Carroll, Sala X (Foto Antonio Maniscalco)
3 / 5

Lawrence Carroll, Sala X (Foto Antonio Maniscalco)

Steve Piccolo (left) and Lawrence Carroll (Foto Barbara Fässler)
4 / 5

Steve Piccolo (left) and Lawrence Carroll (Foto Barbara Fässler)

Gak Sato (Foto Barbara Fässler)
5 / 5

Gak Sato (Foto Barbara Fässler)