Die Zeichnungen des jungen Le Corbusier 1902-1916

Es kann kein Zufall sein, dass die Ausstellung der frühesten Skizzen und Zeichnungen des jungen und vielgereisten Charles-Edouard Jeanneret-Gris, aus dem später der weltberühmte Architekt Le Corbusier werden sollte, in Mario Bottas ‹Theater der Architektur› in der Architekturakademie in Mendrisio stattfindet.

Allein die Wahl unterstreicht die Haltung des Gründers Mario Botta zur Architektur als einer kulturell breit verankerten Kunstform, in steter Interaktion mit den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Disziplinen. So soll das ‹Teatro dell’Architettura› eine Austauschplattform schaffen, die Debatten zu aktuellen Themen der Architektur ins Rollen zu bringen sucht. Die Zylinderform des Gebäudes und die Ringform der Ausstellungsebenen erinnern in ihrem stetigen Kreisen einerseits an das Guggenheim New York, in dessen Spiralform sich die Besucher durch die Ausstellung winden, und andererseits an Berninis gigantischen ovalen Petersplatz, der alle Gläubigen der Welt umarmen sollen. Die Einladung des Publikums zur Teilnahme und zur körperlichen und geistigen Bewegung ist von der baulichen Struktur her mitgedacht. Architektur als menschliches Urbedürfnis, welches bei der direktesten menschlichen Ausdrucksform, fern von jeglicher darüber hinausgehenden Absicht oder Funktionalisierung beginnt: der Zeichnung. Die Zeichnung als Instrument der Beobachtung, der Erfahrung, des Experimentierens, der Appropriation und schliesslich der Erkenntnis. Die Zeichnungen tasten Körper und Strukturen ab, vereinnahmen diese und untersuchen deren Bezüge zum Raum. Die chronologisch aufgebaute Ausstellung, kuratiert von der Kunsthistorikerin und Le-Corbusier-Expertin Danièle Pauly, nimmt die Publikation des ersten Bandes des Gesamtkatalogs der Zeichnungen des Architekten zum Anlass und macht etwa 80 frühe Zeichnungen und Malereien, Originale und Reproduktionen aus der Fondation Le Corbusier und aus Schweizer Privatsammlungen mehrheitlich zum ersten Mal öffentlich zugänglich. Es handelt sich vornehmlich um Tier-, Menschen- oder Naturstudien und später um Architekturskizzen, sei es von präzisen Architekturdetails, einzelnen Gebäuden oder ganzen Stadtteilen. Aber Bottas Akademie hält nicht an beim Theater, das die Architektur in ihrer urtümlichsten konzeptuellen Form, der Zeichnung inszeniert, sondern untersucht auch andere Medien, welche die Architekturdebatte zu nähren wissen, wie etwa den Architekturfilm. ‹Living Le Corbusier› nennt sich die Filmreihe, welche in die unterschiedlichsten Aspekte seines Schaffens einführt und den Kreis um Le Corbu schliesst. 



19.9.2020-24.1.2021

Teatro dell’Architettura, Mendrisio


Published in
Kunstbulletin 12/2020

Le Corbusier, Holzskulptur aus dem Museum von Cluny, 1909
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Le Corbusier, Holzskulptur aus dem Museum von Cluny, 1909

Le Corbusier, Notre-Dame de Paris, obere Galerie, 1908.jpg
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Le Corbusier, Notre-Dame de Paris, obere Galerie, 1908.jpg

Mario Botta, Museo dell’Architettura, Mendrisio, 2018
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Mario Botta, Museo dell’Architettura, Mendrisio, 2018