Linientanz

Rapperswil-Jona — Das Kunst(Zeug)Haus Rapperswil untersucht eine der Grundlagen der visuellen Kunst: die Linie – konzeptuelle Basis seit der Renaissance aber auch suchende Bewegung in der Zeichen- oder Schriftgeste.

Rapperswil-Jona — Das Kunst(Zeug)Haus Rapperswil untersucht eine der Grundlagen der visuellen Kunst: die Linie – konzeptuelle Basis seit der Renaissance aber auch suchende Bewegung in der Zeichen- oder Schriftgeste. Die Co-Direktorinnen Simone Kobler und Céline Gaillard denken die Linie in Bezug zum Raum und zur Bewegung. Der Linie wohnt die spontane Geste der Hand und somit performativ Räumliches inne; die Bewegung definiert die Zeit. Der Raumbezug artikuliert sich in der präzisen Installation der Arbeiten unter den hell gestrichenen Balken, die selbst ein Linienmuster bilden.
‹Linientanz› untersucht die aktiv tanzende Linie und ihre Dreidimensionalität anhand sehr unterschiedlicher Schweizer Kunstpositionen. Zwei ortsspezifische Werke empfangen die Besuchenden beim Aufstieg in den ehemaligen Zeughausraum: Christoph Rüttimanns ‹Installation mit Wagenketten› und Evelina Cajacobs ‹Ohne Worte›, beide 2023. Rüttimann spannt aneinanderhängende Zeigerschnell- und Federzugwaagen zwischen Decke und Boden und entgegnet den horizontalen Balken mit der vertikal wirkenden Schwerkraft. Cajacob hingegen nimmt die Balkenrichtung auf und artikuliert sie in feinen parallel geschwungenen Linien mit Rötel auf der Wand, welche von Weitem wie im Wind flatternde Stoffe wirken. Andrea Wolfensberger zeichnet mit ihrer ‹Bienenwachslinie› den Lichtstrahl nach und in ‹Micelia› die fadenförmigen Zellen von Pilzen. Ihre ‹stehenden Wellen› transkribieren Schallwellen in dreidimensionale Wellkartonobjekte, die sich imposant im Raum behaupten. Silvia Bächlis ‹Zeichnungen› mit freihändigen parallelen Linien und Gittern unterstreichen den körperlichen Gestus der Hand als Raumbesetzung und -definition. Auch Piero Del Bondios Werke sind Zeichenspuren von konzentrierten Bewegungsabläufen. Bei Nicolle Bussien wird die weisse Markierung auf dem Fussballrasen zur Grenze mit politischem Nachklang; daneben entfaltet sich Dominique Lämmlis Holzschlange scheinbar grenzenlos und frei auf dem Boden. Während Lisa Biedlingmaier Erlebnisse ihrer Biografie mit Seilen verknotet, setzt David Herrens ‹Interference› mit erstaunlichem Effekt den Wellen-Teilchen-Dualismus in Szene. Bei wiedemann/mettler wird die Linie zum rosa Neonschriftzug ‹Gerechtikeit›, der die grammatikalische und somit die gesellschaftliche Regel und «Linie» schreiend infrage stellt.



16.2.-30.4.2023
Exhibition
Kunst(Zeug)Haus Rapperswil


Published in
Kunstbulletin 4/2023

Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, Im Vordergrund Andrea Wolfensberger,
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Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, Im Vordergrund Andrea Wolfensberger,”Zwiegespräch”, 2018, Foto Andri Stadler

Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, Evenina Cajacob,
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Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, Evenina Cajacob, “Ohne Worte”, 2023, Rötel auf Wand, 255 x 840 cm, Foto Andri Stadler

Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, David Herren,
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Linientanz, Kunst(Zeug)haus Rapperswil, Ausstellungsansicht, David Herren,”Interference”, 2018, Mikrocontroller, Leiterplatte, Ultraschallsensoren, Axialventilatoren, Stromversorgung, eigenhändige Software, Echtzeit-Projektion, Acrylglasröhren, 3D-Drucke, Polystyrolkugeln, Holz, Kabel. Foto Andri Stadler