Lucio Fontana, Ambienti/Environnements
Dass Lucio Fontana seiner Zeit um mehrere Nasenlängen voraus war, kam schon aus seinem „Manifesto Blanco“ im Jahr 1946 klar hervor, in dem er die theoretischen Linien des „Spazialismo“ formulierte: so wollte er die traditionellen Kunstformen und ihre statische Wahrnehmung hinter sich lassen.
Das Bild solle aus dem Rahmen, die Skulptur aus ihrer Glasglocke austreten und das Publikum solle mit dem ganzen Körper von der Kunst umwunden werden und diese – sich darin bewegend – allumfänglich synästhetisch erfahren. Wie im Kleinen die „tagli“ und „buchi“, (die Schnitte und Löcher) die monochromen Leinwände von der Zwei- in die Dreidimensionalität des Raumes führen, radikalisiert Fontana die Prinzipien seines „Spazialismo“ in den „Ambienti Spaziali“: All-Over Installationen, welche unsere Raum- und Farbwahrnehmung destabilisieren und die Betrachtenden in das Kunstwerk eintauchen lassen, so dass sie unabdingbarer Teil werden davon. In einer akkurat kunsthistorisch recherchierten Ausstellung, rekonstruiert der Pirelli HangarBicocca in Mailand erstmals 11 mehrheitlich zerstörte „Ambienti“ und „Interventi Spaziali“ von 1948 bis 1968, ausgehend von Skizzen, Fotografien, Schriften und Zeugenberichten. Eine aufrüttelnde Entdeckung! Die wahre Nähe zu unserer Zeit dringt durch das Eintauchen in die intensiven Farbräume, das Erfassen der Neonlichtzeichnungen, das Wanken auf nachlassenden Gummimatten und das Kriechen durch stockdunkle Tunnels so richtig ins Bewusstsein: was wären Minimalismus, Konzeptkunst oder Light-Art ohne Lucio Fontana?