Il giardino

„Vielleicht lässt sich das verborgenste Motiv des Sammelnden so umschreiben: er nimmt den Kampf gegen die Zerstreuung auf. Der große Sammler wird ganz ursprünglich von der Verworrenheit, von der Zerstreutheit angerührt, in dem sich die Dinge in der Welt vorfinden.” Mit diesem Zitat aus Walter Benjamins Passagenwerk wird der Gang durch die gigantische Sammlung der meist grossformatigen Arte Povera und Konzeptarbeiten des Max Mara Modekonzerngründers Achille Maramotti in den ehemaligen Produktionshallen in Reggio Emilia eröffnet.

Der emilianische Sammler sortiert seine „zerstreuten“ Stücke im Raum nach einem präzisen Ordnungsprinzip, hier jenes der Chronologie und sucht somit – frei nach Kant – durch Ordnen von empirischen Daten mittels Kategorien, Erkenntnisse aus seinen geheimnisvoll verworrenen Kunstwerken zu generieren. Die neuen Arbeiten von Guggisberg & Lutz, welche derzeit als Teil des Festivals „Fotografia Europea 2018“ ebenfalls in der Fondazione Maramotti zu sehen sind, passen perfekt zur benjamin’schen Idee, denn sie bilden das zweitaktige Sammlerprinzip der Verworrenheit der Welt einerseits und der stetigen Ordnungsversuche andererseits, variantenreich und voller Ironie prozesshaft ab. Auch Künstler sind Sammler und generieren neue Erkenntnisse, indem sie die gefundenen Gegenstände in Raum und Zeit kombinieren und weiterverarbeiten. Auf den Fotografien von Guggisberg & Lutz finden sich weder sorgfältig angelegte Nutzgärten noch durchgestaltete Barockanlagen abgebildet, sondern eher ein Mix zwischen vernachlässigtem Schrebergarten und zufällig entstandenem Materialendlager von hingeworfenen, aufgehäuften Metall- Plastik- oder Holzresten. Diese verworrenen Abbildungen voller gefundener Gegenstände werden wie jede Fotografie selber zu „Objets trouvés“ und bilden das Grundmaterial für Guggisberg & Lutz skulpturalen und malerischen Weiterverarbeitungsprozess, welcher von formalen und inhaltlichen Assoziationen und Referenzen nur so sprüht. Während die gefundenen Materialien sorgfältig zu Rauminstallationen arrangiert einen Mikrokosmos aus Farben und Oberflächenstrukturen sowie Geschichten aus „Tableaux vivants“ ins Leben rufen, vermengen sich in den Bildern Fotografie und Malerei, bis sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Im unübersichtlichen Mischmasch dieser Wirrbilder wimmelt es von aus dem Winterschlaf aufgewachten Tierchen, mysteriösen Figürchen aus unbekannten Kulturen, undefinierbaren Wesen und gespiegelten Gegenständen. Aus dem assoziativ freien Spiel mit der Verworrenheit wird Humus für die Welt der Fantasie.



22.4.-30.12.2018

Fondazione Maramotti Reggio Emilia


Published in
Kunstbulletin 7-8/2018

Lutz & Guggisberg, il giardino, Ausstellungsansicht, Collezione Maramotti, Reggio Emilia, April 2018 (Foto: Roberto Marossi)
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Lutz & Guggisberg, il giardino, Ausstellungsansicht, Collezione Maramotti, Reggio Emilia, April 2018 (Foto: Roberto Marossi)

Lutz & Guggisberg, Dopo il letargo, 2018 (© Lutz & Guggisberg, Foto: Nadine Kägi)
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Lutz & Guggisberg, Dopo il letargo, 2018 (© Lutz & Guggisberg, Foto: Nadine Kägi)