Mai Thu Perret: Real Estate

2022, ein Frauenjahr in der Kunst: so schreit es aus allen Kanälen. Die Biennale von Venedig fest in weiblicher Hand, sowohl das Hauptkuratorium mit Cecilia Alemani, als auch die Repräsentationen in auffällig vielen Länderpavillons. Pünktlich zur «Frauenbiennale» und somit perfekt eingestimmt, eröffnet das Schweizer Institut in Rom die erste italienische Einzelausstellung der Genfer Künstlerin Mai Thu Perret. So absurd es tönt, die Genderfrage ist alles andere als gelöst. Dies wird paradoxerweise umso sichtbarer als sich Künstlerinnen in ihrer Arbeit noch immer mit ihr auseinandersetzen (müssen). Mai Thu Perret tut dies seit Jahrzehnten auf sehr konsequente wie poetische Art und Weise. So erfand sie 1999 eine utopische, autonome Frauenzone, „New Ponderosa Year Zero“, irgendwo in New Mexico, in der die Frauen der patriarchalischen und kapitalistischen Welt entrinnen und eine neue soziale Ordnung aufbauen. Die in der Römer Villa Mariani sorgfältig installierte Show setzt mit den poetischen Objekten der Schweizer Künstlerin diese Forschungsrichtung fort.

. Im Titel „Real Estate“, versteckt sich ein Wortspiel: auf italienisch ausgesprochen, heisst es „wirklicher Sommer“; auf englisch hingegen „Immobilienbesitz“. Eine direkte Anspielung auf die häusliche Sphäre, Wohn- und Besitzbedürfnisse, auch im Sinne eines weiblichen „Empowerments“ zu verstehen. Die schamanisch anmutenden schwarzen Tiermasken aus Keramik, , schwören antike Hexenrituale der Transformation herauf. Der Wandteppich beruht auf einem Aquarell von Sophie Täuber Arp. Der weisse Korb voller Gipsäpfel , hingegen, evoziert die böse Hexe, welche Schneewittchen zu vergiften sucht. Bunte Keramikschalen rufen die häuslichen Gefässe hervor und sprechen vom Anbieten, von Grosszügigkeit und von Empathie: allesamt mit Weiblichkeit verbundene Begriffe. Die Glasvögel symbolisieren die Fragilität und die Freiheit. Die Minerva aus rot glasierter Keramik, Göttin der Weisheit, des Krieges und der Strategie, thront am Ende der Ausstellung, schon fast wie eine Drohung. Denn trotz der vermeintlichen Zerbrechlichkeit des sogenannten «zweiten Geschlechts» sollte dieses nicht unterschätzt werden. Denn nichts hindert es daran, strategisch vorzugehen für dessen Ermächtigung. Wie es scheint, wird die Tsunamiwelle immer schwieriger aufzuhalten sein. Das Ziel: Eine Gesellschaft, in der die Geschlechterzugehörigkeit kein Thema mehr ist und sein muss.



24.3.-26.6.2022
Exhibition
Istituto Svizzero di Roma


Published in
Kunstbulletin 6/2022


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Mai-Thu Perret, Minerve, 2021, Glasierte Keramik, 150 × 120 × 100 cm. Installationsansicht Real Estate, Istituto Svizzero, Roma, 2022. Foto: Ela Bialkowska, © OKNOstudio.
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Mai-Thu Perret, To be titled (Birds), 2021, 12 Stücke in geblasenem Glas, je ca. 16 × 12 × 12 cm. Installationsansicht Real Estate, Istituto Svizzero, Roma, 2022. Foto: Ela Bialkowska, © OKNOstudio.
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