Marta Margnetti. Und plötzlich von einer Kraft geschüttelt

Die Tessiner Künstlerin Marta Margnetti ist in ihrem jungen Leben schon 17 Mal umgezogen. Im Traum erscheinen ihr Wohnsituationen, kollektive oder singuläre Wohnformen, die sie aufnimmt und plastisch weiterentwickelt.

Ihre Räume entstehen aus sich wandelnden Notwendigkeiten. Jeder Umzug markiert einen Neubeginn nach Trennung und Schmerz. Die Phantasie fungiert bei ihr als Rettungs­anker und Zukunftsmotor.
Die diesjährige Gewinnerin des Manor Kunstpreises Tessin schafft im Palazzo Reali des MASI fünf raumfüllende Installationen mit Materialien wie Zement, Eisen, Bronze, Keramik, Wachs, Holz oder Karton. Ihre Interventionen sind spezifisch für diese Räume entstanden und nehmen auf den kulturellen Kontext der Stadt Lugano Bezug. Mit unterschiedlichen Techniken und Materialien reagiert die Künstlerin auf die Situationen, die sie antrifft, improvisiert und lässt sich in ihren Arbeiten auf das Unkontrollierbare und das Unvorhersehbare ein.
Beim Wohnen bespielen wir die Räume mit Bewegungen, Gewohnheiten und Gegenständen. Wir hinterlassen Spuren. Es sind unsere kontinuierlichen Aktionen, welche sowohl die Räume und ihre Atmosphäre als auch unser Fortschreiten – konkret und sinnbildlich – unaufhörlich formen. Die Gegenstände laden sich auf oder entladen sich. Energie oder Entropie. Je nach Tagesverfassung, Konzentration, Stimmung, Lebensphase. Wir schaffen Landkarten, auf denen unsere Bewegungen, physisch, psychisch, analog oder virtuell wie in einem Elektrokardiogramm stetig aufgezeichnet werden. Die Linien überschreiben sich. Die Räume verändern sich. Wir verändern uns. Die Gegenstände mutieren. Unmerklich. Denn es geht sowohl zu schnell als auch zu langsam, um wahrgenommen zu werden.
Im letzten Jahr hat das Wohnen eine neue Dimension erlangt. Unverhofft fanden wir uns in unserer Häuslichkeit wieder, und wer nicht häuslich war, wurde gezwungen, es zu werden. Unser Horizont hat sich von jenem des Globetrotters redimensioniert auf jenen unserer vier Wände. Das physische Reisen mit seinen Gerüchen und Lichtsituationen wurde verwandelt in virtuelle Entdeckungen.
Marta Margnettis Traumgespinste des Wohnens sind aktueller denn je. Die Künstlerin visualisiert sie in einem existenziellen und kreativen Akt in Modellen, mit Gegenständen auf Regalen, fliegenden Architekturfragmenten, Wand- und Eckobjekten, Neonlettern und vor allem Türen, die nirgends und überall hinführen. Sie richtet unsere Aufmerksamkeit auf den Ort, der Arbeit und Freizeit vereint und sich wie ein Spinnennetz um uns zusammenzieht. 



28.11.2020-14.2.2021
Installation
Masi Palazzo Reali Lugano


Published in
Kunstbulletin 1-2/2021

Marta Margnetti, Ausstellungsansicht, Masi Lugano, Palazzo Reali. Foto: Roberto Pellegrini
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Marta Margnetti, Ausstellungsansicht, Masi Lugano, Palazzo Reali. Foto: Roberto Pellegrini

Marta Margnetti, Ausstellungsansicht, Masi Lugano, Palazzo Reali. Foto: Roberto Pellegrini
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Marta Margnetti, Ausstellungsansicht, Masi Lugano, Palazzo Reali. Foto: Roberto Pellegrini

Marta Margnetti, Studio Foto 2020, Keramik und Gouache. Foto: Yimei Zhang
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Marta Margnetti, Studio Foto 2020, Keramik und Gouache. Foto: Yimei Zhang