Maurizio Cattelan, Breath, Ghosts, Blind
Wer es bisher noch nicht verstanden hat, bei dem wird jetzt die Münze fallen. Die Hasensprünge von Maurizio Cattelan nehmen das Kunstsystem und die menschliche Existenz auf die Schippe. Er provoziert, aber in Wirklichkeit sucht er weniger die Konfrontation als den Dialog.
Der wohl international bekannteste italienische Künstler eckt an und deckt Widersprüche auf, um zum Denken anzuregen: über Leben und Tod, über Politik und Gesellschaft. Er verschwindet und taucht wieder auf. Er erklärt, dies sei seine letzte Ausstellung, dann gehe er in Pension und dann beschert er uns doch wieder eine riesige In-Situ Installation. Die aktuelle Ausstellung im Hangar Bicocca in Mailand ist aufgebaut wie ein Dreiakter im Theater. In jedem der drei chronologisch aufgereihten Räume wird eine Arbeit inszeniert: ‹Breath›, ‹Ghosts› und ‹Blind›. Aber beginnen wir von vorne: denn auch wenn Cattelans Interventionen kopflastige Konzeptkunst sind, haben sie – und die Inszenierung in der Bicocca speziell – eine starke sinnliche Wahrnehmungskomponente. Denn der Paduanische Künstler denkt und spricht in Bildern. Beim Eintreten werden die Besuchenden vom dunklen Raum ummantelt. Bis sich die Augen an die Dunkelheit gewohnt haben, können sie kaum etwas unterscheiden. Als erstes fällt der Blick auf zwei hell beleuchtete weisse Marmorfiguren auf dem Boden: ‹Breath›. Ein in fötaler Stellung schlafender Mann mit kurzen Hosen und einer Wollmütze vor einem ebenso schlafenden Hund in ähnlicher Stellung vor ihm liegend. Bei genauerem Hinsehen – das hatten wir doch schon! – entpuppen sich die Gesichtszüge als jene des Künstlers selbst. Und das war’s nun? Erst allmählich erscheinen mit der Gewöhnung der Augen an die Dunkelheit kleine Figürchen im gigantischen zweiten Raum. Es handelt sich um tausende von ausgestopften Tauben, welche auf den Metallbalken der Industriehalle sorgfältig platziert worden sind. In Gruppen, allein, in unterschiedlichen Blickrichtungen. Wir kennen die Tauben Cattelans aus den Biennalen von 1997 und 2011, als sie noch ‹Turists› und ‹Others› hiessen. Die Tiere – nun ‹Ghosts› – beobachten, ja, kontrollieren uns aus der Höhe. Sie sind Botschafter, Friedenssymbol und fliegende Ratten zugleich. Im hintersten, kubischen Raum steigt ein schwarzer Monolith ‹Blind› zur Decke auf: zuoberst verschmolzen mit einem Flugzeug aus demselben opaken Material. Cattelan ist todernst und hat seine zynische Ader überwunden: er inszeniert die Katastrophen der letzten 20 Jahre. Von 9/11 zur Pandemie und wirft uns auf uns selbst zurück. Am Boden liegend, hoffentlich wirklich noch atmend!