Per Kirkeby, die Seelenorte des grossen skandinavischen Meisters
Auch wenn Per Kirkeby schon als Kind wusste, dass er Künstler werden wollte, war sein Geologie-Studium und die nachfolgenden Expeditionen in die Arktis kein Umweg. Ganz im Gegenteil.
Als reisender Forscher notiert er mit seinem Aquarellpinsel in fiebriger Hast auf unzähligen Blättern als gälte es in Sekundenschnelle das sogleich Vergehende hastig zu fixieren. Die wissenschaftliche Neugierde des dänischen Künstlers drückt sich in diesem fast manischen Festhalten der ständig wechselnden Lichtsituationen, der kalten, pastelligen nördlichen Farbtöne und ihrer Reflexionen und Verläufe aus und findet Nahrung in der unendlichen Einsamkeit der überwältigenden Naturerlebnisse. Kirkeby hält gegen alle ihn umgebenden konzeptuellen und minimalistischen Strömungen an der Basis der Wahrnehmung in seiner Kunst fest: „Meine Art zu denken, ist dieses merkwürdige Malen, deshalb sehe ich manchmal anders. In Momenten absoluter Klarsichtigkeit des Verstandes, sehe ich ohne Konditionierung.“ Er unterscheidet so einen „reinen“ Blick, der sich idealerweise unbelastet auf etwas richtet von einem durch die Kunstgeschichte oder die Wissenschaft beeinflussten Sehen. Die Schwierigkeit liegt für den Künstler darin, die Realität zu „sehen“, anstatt sie zu „denken“. Die vielleicht schönsten Papierarbeiten sind die letzten Aquarelle aus Grönland, entstanden 2009-2011 nach mehreren Schlaganfällen, als der Künstler schon alt und fast blind war: schnelle sichere Gesten, intensive Farben, klare Formen und doch verschwommene Konturen. Die Retrospektive im Museum von Mendrisio stellt Per Kirkeby als Multitalent vor: Geologe, Maler, Bildhauer, Filmemacher, Poet und Kunstkritiker, aber die Hauptaufmerksamkeit gilt der Malerei und der Skulptur. Auch wenn die Papierarbeiten nicht als Vorlagen gedacht sind, sondern als Prozessnotationen, fliessen ihre Formuntersuchungen in die Leinwände der letzten dreissig Jahre ein. In den grossformatigen Ölbildern verarbeitet der dänische Künstler sichtbar seine Erfahrungen als Geologe: immer und immer wieder stratifizierte Schichtungen und Lasierungen unterschiedlichster Oberflächenstrukturen und Farbkontrasten scheinen den Blick unter die Erdoberfläche freizuschaufeln oder vielleicht ist es umgekehrt. Der Geologe trägt ab und analysiert die Zusammensetzung, um die Entstehung der Erdkruste zu verstehen, während der Künstler die Schichten erst übereinander spachtelt, um die beobachteten Strukturen erscheinen zu lassen, denn, so Kirkeby: «Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht in der Suche nach neuen Landschaften, sondern darin, neue Augen zu gewinnen».