Personnages
Was bleibt von unserer sozialen Wirklichkeit übrig nach zwei Jahren Isolation, Verunsicherung und Rückzug? Wie orientieren wir uns neu? Wohl kaum zufällig sind in dieser Zeit gleich sechs auf der Figur basierende Zeichnungen zur Sammlung gestossen, welche nun den Kern und den Anstoss der aktuellen Präsentation von rund 90 Werken von 50 Künstler*innen mit dem Titel bilden. Drei Zeichnungen aus Skizzenbüchern von August Macke aus der berühmten Tunisreise mit Paul Klee 1914: schnelle Croquis, in denen der deutsche Künstler die ihm unbekannte Kultur auf der Strasse aufsaugt und festhält. Zwei essenzielle Akte von Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein, die mit wenigen hingeworfenen Strichen das nackte Dasein zusammenfassen. Unbedeckt, schutzlos, ausgesetzt. Doch das Highlight – wohl auch die finanziell aufwändigste der Neuanschaffungen – ist zweifellos des 17-jährigen Picasso. Die Bleistiftzeichnung, noch mit P. Ruiz Picasso signiert, scheint die Tristesse der blauen Periode vorwegzunehmen. Eine junge Dame steht mit nach vorne geneigtem Haupt und am Leib herunterhängenden Armen vor einem menschenüberfüllten Café und starrt vor sich hin in die Leere. Sie nimmt nichts vom Rummel um sie herum wahr und versinkt in ihrer Einsamkeit.
Der Titel der Ausstellung wurde von Miròs spielerischem Aquarell entlehnt: ein sympathischer Kopffüssler starrt uns mit aufgesperrten Kinderaugen an. Der Begriff «Personnage» ist gut gewählt. So einfach ist er nicht auf deutsch zu übersetzen, entspricht er doch den verschiedensten Facetten: Figur, Person, Rolle, Romanfigur, Typ oder Persönlichkeit. So viele Aspekte und Stationen der menschlichen Existenz, wie die Ausstellung uns chronologisch präsentiert in neun thematischen Kapiteln: Figürliche Studien und Personnages, Der Akt, Die weibliche Figur, Das Paar, Mutterschaft und Kindheit, Vergnügen, Die Arbeit, Die Suche des Selbst, Der Tod. Unser Dasein ist geprägt von Rollenspiel, Lernprozessen, Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt sowie Flucht in die Leichtigkeit. Bis unsere Seele ausgehaucht wird. Unausweichlich. Früher oder später.