Rita Ackermann – freche Mädchen und gestische Schichten verquickt im Strichgewühl
Das MASI zeigt die bisher umfangreichste Retrospektive der ungarisch-amerikanischen Künstlerin Rita Ackermann. Dabei folgt man ihrem Weg von den frühen figurativen zu den aktuellen Malereien, in denen linienbasierte Figuren expressionistische Farbflächen durchdringen und die Wahrnehmung verwirren.
Lugano — Provokativ schaut uns das halbnackte, schlanke Mädchen mit kurzen Haaren und kleinen Brüstchen direkt in die Augen. Stolz trägt sie ihre Delphins- und Schmetterlingstatoos zur Schau. In der Linken hält sie lässig eine Zigarette. Hinter ihr, in seichtem Gewässer, sieht man Girls, die baden, mit Delphinen reden, Kaugummiblasen zerplatzen lassen oder sich gegenseitig filmen. Das Bild ‹Where did we come from? Where are we going? Who are we?›, 1994, ist eine direkte Referenz an Gaugins gleichnamiges Werk, das, ebenfalls im Breitleinwandformat, den Lebenszyklus darstellt. Ackermann malte ihre eigene Version davon auf Jeansstoff, aus dem auch die Vorhänge in ihrem Budapester Kinderzimmer gefertigt waren. 1999 zog sie schliesslich aus der ungarischen Hauptstadt nach New York. Die Kunstakademie, wegen der sie übersiedelt war, liess sie bald hinter sich und stürzte sich in den Strudel der Kunst- und Musikszene des Big Apple.
Die von der Künstlerin nun für das MASI konzipierte Ausstellung ‹Hidden› ist Ackermanns erste grosse Retrospektive. Sie ist zweigeteilt und baut auf den Gegenpolen der figürlichen Zeichnung und der informellen Malerei auf, die sich in Ackermanns Werk selbst vereinen. Die Mädchenfiguren in den frühen Werken erinnern mit ihrem sicheren Strich an die Harlekine in Picassos blauer Periode. Die Arbeiten der letzten Jahre vereinen in vielschichtigen Spielarten gestisch pastose Malerei und figürlichen Kohlestrich. Etwa die Serie ‹Mama›, 2018–21: «Bad Girls», Panzer oder galoppierenden Pferde der American Natives tauchen aus den Schichtungen auf, um gleich wieder zu entschwinden. Die Figuren versinken in den Farbmassen, bleiben ambivalent in der Wahrnehmung, um unvermittelt wieder aufzuscheinen.
In der jüngsten, grossformatigen Serie ‹War Drawings›, 2022, findet der Krieg auch formal auf der Leinwand statt. Die gelbliche, freihändig karierte Grundierung zitiert amerikanische Notizblöcke – auf das Provisorische, Vergängliche verweisend. Die Fettstiftzeichnung in Schwarz, Weiss, Blau und Rot zeigt und versteckt gleichzeitig ihre Personage: In einer anstrengenden Lesereise entdecken die Betrachtenden Panzer, Hunde, Pferde, amerikanische Ureinwohner, versteckt in einem fürchterlichen Strichgewirr, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Rita Ackermann assoziiert die ukrainischen Kriegsgreuel mit den Massakern an der indigenen Bevölkerung und schafft so ein eindringliches Manifest gegen den Krieg.