Schawinsky, Pini, Schlatter – Prozess als Motor und Ziel

In zwei nacheinander folgenden Gruppenausstellungen konfrontiert die Casa Rusca in Locarno je zwei Positionen von Gegenwartskünstler:innen mit dem historischen, prozessualen Ansatz von Xanti Schawinsky. Aktuell begegnen ihm Werke von Valentina Pini und Sabine Schlatter.

Locarno — Mit dem diesjährigen Gastkurator Raphael Gygax (1980), ehemals Kurator am Migros Museum in Zürich und aktuell Leiter des BA Fine Arts der ZHdK, kommt frischer Wind in das locarneser Stadtmuseum Casa Rusca. Eine neue Generation von Kunstschaffenden hält Einzug in den um einen Hof angelegten Räumen des ehemaligen Patrizierhauses. Konzeptueller Ausgangspunkt und gleichzeitig Kernstück der beiden sich folgenden Gruppenausstellungen ist das Werk des Baslers Xanti (Alexander) Schawinsky (1904–1979), dessen künstlerische Anfänge im Bauhaus wurzeln. In der aktuellen Ausstellung werden Arbeiten der Zürcher Künstlerinnen Valentina Pini (1982) und Sabine Schlatter (*1977), in der nachfolgenden Sommerausstellung jene von Una Szeemann und Martin Soto Climent dem prozessualen Nachkriegswerk Schawinskys gegenübergestellt.
Der Sohn polnisch-jüdischer Emigrierter, der 1933 nach Mailand floh und da bei Illy Kaffee und Olivetti als Grafiker arbeitete, 1936 von Joseph Albers ans Black Mountain Collage berufen wurde und 1961 an den Lago Maggiore zurückfand, konzentrierte seine künstlerische Aufmerksamkeit in Theorie und Praxis auf das Performative des Schaffensprozesses. Er experimentierte mit Lichtmalerei, Feuer- und Rauch, Dance- und Track-Painting. Raphael Gygax sucht und findet bei Sabine Schlatter und Valentina Pini auf je unterschiedliche Art und Weise ähnliche performative und mit dem Material experimentierende Herangehensweisen.
So misst Sabine Schlatter zeichnerisch Räume aus und markiert sie mit immer sich wiederholenden Strichbewegungen. In ihren Performances zieht sie eingefärbte Gipsklötze hinter sich her über öffentliche Plätze, immer wieder denselben Parcours wiederholend, bis der Platz von ihrer Route «durchfurcht» ist. Auf ihren grossformatigen Zeichnungen wiederholen sich die Farbstiftstriche so oft in parallelen Richtungen als Spuren ihres sich bewegenden Körpers, bis sich die Linien dermassen verdichten, dass ein farbig leuchtendes, verwobenes Netz entsteht. Die installativen Arbeiten von Valentina Pini hingegen haben einen magischen, alchemistischen Touch. Die gebürtige Tessinerin verändert alltägliche Materialien prozessual, bis etwas Neues, Unkenntliches, Enigmatisches entsteht. Wasser wird zu Wein, Schnüre werden zu Schlangen, Auberginen zu Tentakeln. Das Werk wird als Spur einer transformativen Handlung erkennbar. Auf die Fortsetzung der Ausstellungsreihe können wir gespannt sein.



1.4.-18.6.23
Group-Exhibition
Casa Rusca Locarno


Published in
Kunstbulletin 6/2023

Sabine Schlatter, Untitled, 2019, Farbstift auf Papier, 164 x 150
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Sabine Schlatter, Untitled, 2019, Farbstift auf Papier, 164 x 150

Xanti Schawinsky, Untitled, 1964, Rauch und Öl auf Pavatex
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Xanti Schawinsky, Untitled, 1964, Rauch und Öl auf Pavatex

Titelblatt der Basler Illustrierten vom 4. August 1933. Schawinsky an der Maggia-Brücke. Foto: Lazlo Moholy-Nagy
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Titelblatt der Basler Illustrierten vom 4. August 1933. Schawinsky an der Maggia-Brücke. Foto: Lazlo Moholy-Nagy

Valentina Pini, Water Into Wine, 2020, Video full HD, 6'56'', loop, 2-Kanalaudio. Ton: Micha Seidenbert, Camera: Loris Ciresa, Edition von 3 + 2 Artist-Proof
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Valentina Pini, Water Into Wine, 2020, Video full HD, 6’56”, loop, 2-Kanalaudio. Ton: Micha Seidenbert, Camera: Loris Ciresa, Edition von 3 + 2 Artist-Proof