Stefano Boccalini, La ragione nelle mani

Stefano Boccalinis Kunst spielt auf so unterschiedlichen Ebenen und impliziert so viele Akteure, dass nur ein Bewegen des Blickwinkels und ein Verweben der Elemente zu Interpretationshypothesen führen kann.

Wo beginnen? Bei den Tatsachen: Das von Adelina von Fürstenberg kuratierte Projekt ist Teil von ART for the World Europa (eine Genfer NGO des UNDPI) und ist in Zusammenarbeit mit dem Kultursektor des Valle Camonica als Teil des von Boccalini geleiteten Ca’Mon (Centro per l’arte e l’artigianato della montagna) entstanden. Der Mailänder Konzeptkünstler Stefano Boccalini arbeitet als Agitator im Hintergrund seit Jahrzehnten mit Communities. In den 2000er Jahren war er mit Bert Theis Mitbegründer des Isola Art Centers, einem selbstorganisierten internationalen Gegenwartskunstzentrum im Isolaquartier in Mailand, welches sich mit der Quartierbevölkerung (vergebens) gegen die Gentrifizierung wehrte. Nach dem abrupten Ende des Kunstzentrums durch den Bau der Porta Nuova Hochhäuser 2013, wendete sich Boccalini den traditionellen Handwerkerinnen des Brescianer Val Camonica zu und begann mit Weberinnen, Schnitzerinnen, Korbflechterinnen und Sticker*innen zusammenzuarbeiten. Das Ca’Mon, dessen Gründer und Direktor er ist, bezweckt es, das handwerkliche Knowhow weiterzugeben, den Austausch von intellektuellem und manuellem Wissen zu fördern und prozessbasierte Forschung und Experimente in Handwerk und Kunst zu ermöglichen.
Bei Boccalinis Ansatz der community-based Relational Art, ist die Location selber bedeutungsvoller Teil des Ausstellungskonzepts: Die Handwerksartefakte aus der Valle Camonica interagieren präzis mit den Exponaten des Maison Tavel, dem Genfer Stadtmuseum der urbanen Geschichte. Die verwobenen, geschnitzten, geflochtenen und gestickten Wörter stammen aus einer Serie von nicht übersetzbaren Begriffen aus verschiedenen Sprachen: Balikwas meint etwa, seinen Blickpunkt zu wechseln, Orenda, die Fähigkeit die Welt zu verändern. Im zweiten Teil der Ausstellung stammen die Wörter aus Interviews mit Genfer Bürgern, welche aufgefordert wurden, ihre Stadt zu definieren. Die Körper gewordenen Begriffe Banques, Bunker, Confort, Luxe überraschen uns als Teppiche, Gardinen, Überzüge oder Körbe inmitten der eleganten Wohnräume aus dem 18. Und 19. Jahrhundert.
Mit seinen kontextspezifischen Installationen wagt Boccalini einen Spagat zwischen Konzeptkunst und traditionellem Handwerk, eine intellektuelle Reinterpretation der Manualität: Die Vernunft ist in den Händen!



1.4.-27.6.2021
Installation
Maison Tavel, Musée d’Art et d’Histoire Genève


Published in
Kunstbulletin 6/2021

Stefano Boccalini, <La ragione nelle mani>, Ausstellungsansicht, Maison Tavel, Genf (Foto: Barbara Fässler)
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