Sturm&Drang

Stellen wir uns auf den konstruktivistischen Standpunkt, dass wir die Wirklichkeit stets neu schaffen, indem wir sie wahrnehmen, Erfahrungen sammeln, uns vernetzen und austauschen, verlieren die computergenerierten Bilder (CGI – Computer Generated Images) ihre künstliche Entrücktheit und ihre immaterielle Fremdheit.

Sie sind des Konstruktivismus logische Konsequenz und dessen immaterielle Materialisierung. Auch wenn die Cyberwelt schon in den 80er Jahren begann uns zu beschäftigen – mit ‹Neuromancer›, 1984 von William
Gibson –, ist die Generation der jungen Kuratorinnen, Künstlerinnen oder Ingenieurinnen in einer digitalen Parallelwelt aufgewachsen. Die Kinder der 90er Jahre hatten sich in den Kosmos der Playstation und Gameboys geflüchtet vor unserer anstrengenden und pragmatischen Wirklichkeit, welche volle Leistung fordert: Schulbesuch, Hausaufgaben, Büffeln, Sport. Kurz: Effizienz. In der computergenerierten Phantasiewelt gelten eigene Zeit-Raum-Gesetze. Die Kids entspannen sich trotz der komplexen Herausforderungen im Cyberspace. Heute arbeiten die Millennials als Designerinnen, Architektinnen, Kuratorinnen, Künstlerinnen, Ingenieurinnen oder Informatikerinnen und schaffen als Nerds digitale oder hybride Realitäten, Algorithmen, Narrative, Animationen, Objekte oder Architekturen.
Die Ausstellung ‹Sturm&Drang› im Osservatorio, dem auf Fotografie spezialisierten Raum der Fondazione Prada beim Mailänder Dom, katapultiert die Besuchenden in Cyberwelten und präsentiert eine breite Palette von CGI’s aus den unterschiedlichsten Gebieten: Ingeneering, Medizin, Militär, Gaming, Science Fiction. Die Kuratoren Luigi Alberto Cippini (Armature Globale), Fredi Fischli und Niels Olsen (gta exhibitions, ETH Zürich) haben sich über längere Zeit mit den Inhalten und den Technologien der computergenerierten Bilder und deren räumliche und didaktische Vermittlung auseinandergesetzt. Entstanden ist eine installative Ausstellung, welche anstatt gerenderte Endprodukte Tutorials und virtuelle Konstruktionen auf grossen Monitoren präsentiert und somit den Akzent auf die Produktionsprozesse und eine sich weiterentwickelnde Ästhetik und Bilderwelt lenkt. Die ETH-Lektionen von ‹Sturm&Drang Studio›, welche von Februar bis Mai 2021 in Form von Zoomgesprächen mit jungen Cyberkünstler
innen und Startups stattgefunden haben, können auf der Webseite fondazioneprada.org mitverfolgt werden. Sie vervollständigen das Bild und geben dem Gebiet der CGI ein menschliches Antlitz und einen theoretischen Überbau. Der Cyberspace ist Realität geworden und wir befinden uns mitten drin.



9.9.2021-21.1.2022
Installation of Virtual Realities
Osservatorio Fondazione Prada


Published in
Kunstbulletin 11/2021

Ausstellungsansicht “Sturm&Drang”, Osservatorio Fondazione Prada, Mailand, Digital industry, 2021, Holzstruktur, Eisenstangenpole, Plexiglas, MDF, Computer. Foto: Barbara Fässler. Courtesy: Fondazione Prada
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Ausstellungsansicht “Sturm&Drang”, Osservatorio Fondazione Prada, Mailand, Digital industry, 2021, Holzstruktur, Eisenstangenpole, Plexiglas, MDF, Computer. Foto: Barbara Fässler. Courtesy: Fondazione Prada

Ausstellungsansicht “Sturm&Drang”, Osservatorio Fondazione Prada, Mailand, Digital industry, 2021, Holzstruktur, Eisenstangenpole, Plexiglas, MDF, Computer. Foto: Jacopo Farina. Courtesy: Fondazione Prada
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Ausstellungsansicht “Sturm&Drang”, Osservatorio Fondazione Prada, Mailand, Digital industry, 2021, Holzstruktur, Eisenstangenpole, Plexiglas, MDF, Computer. Foto: Jacopo Farina. Courtesy: Fondazione Prada