Boetti/Salvo, vivere lavorando giocando

Eine selbstvergrösserte Schwarzweissaufnahme von 1969 in Vernazza trifft genau des Pudels Kern: zwei junge Männer in den Zwanzigern sitzen sich mit nacktem Oberkörper gegenüber und amüsieren sich köstlich mit Armdrücken.

Noch zittern die umklammernden Hände senkrecht über dem Tisch, noch lächeln die beiden Widersacher mit angespannten Bizeps und verharren in freudiger Erwartungshaltung. Noch ist nicht klar, ob das freundschaftliche Spiel in einen ernsthaften Konkurrenzkampf kippt und noch ist der Ausgang des Kräftemessens nicht entschieden. Bei den beiden jungen Künstlern in der Schwebe handelt es sich um Salvo (Salvatore Mangione 1947-2015) und Alighiero Boetti (1940-1994). Sie teilen ihr Atelier von 1969 bis 1972 im Corso Principe Oddone 88 im von Studenten- und Arbeiterunruhen gegeisselten Turin, der politisch wie kulturell gärenden Stadt der Arte Povera. Die von der Kuratorin Bettina della Casa kunsthistorisch akkurat aufgearbeitete Ausstellung im Masi Lugano rollt die Jahre der Kohabitation und des folgenden Auseinanderdriftens der beiden Künstlerfreunde auf und stellt die Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung und der fundamentalen Differenzen der beiden Werkkorpussen. Beide Künstler haben sich mit der Identitätsfrage und der Autorenschaft beschäftigt. Alighiero Boetti hat sein Ich verdoppelt zu Alighiero & Boetti und hat sich einen imaginären Zwilling zur Seite gestellt. In späteren Jahren hat er die Ausführung seiner Arbeiten ganz an Unbekannte delegiert. A&B hat die Autorschaft von Grund auf infrage gestellt, indem er sich komplett zurücknahm. Salvo hat ganz im Gegenteil die Mystifizierung der Künstlerpersönlichkeit ironisierend bis zum Exzess zelebriert mit seiner Marmortafel „Ich bin der Beste“ oder mit seinen Zeitungsfotomontagen, in denen er sein Gesicht mit jenem der Berühmtheiten ersetzt hat. Der Künstler wurde bei Salvo (von Salvatore, dem Retter) zum Propheten: 1970 hat er sogar die Stadt Luzern gesegnet. So ähnlich die geografischen Karten der beiden Künstler mit den bunten Buchstaben äusserlich wirken, so unterschiedlich ist ihre Kommunikationsmethode. Während die Botschaften des kultivierten Autodidakten Salvo direkt lesbar sind, konstruiert Boetti in seinen Werken eine Verständigungsbarriere: zuerst muss das Rätsel geknackt werden, wie die Arbeiten zu entziffern sind. Nach dem Wegzug von Boetti 1972 avanciert Salvo zum Vollzeitmaler und zum Vorreiter der postmodernen Transavantgarde, während Alighiero & Boettis Werke konzeptuell immer kryptischer werden. Im historischen Rückblick scheint das Armdrücken einen Ausgang genommen zu haben. Aber wir wollen das Ende der Geschichte nicht verraten.



9.4.-27.8. 2017

MASI / LAC Lugano


Published in
Kunstbulletin 7-8/2017


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Alighiero Boetti and Salvo, Vernazza, 1969 (Foto: Anne Marie Sauzeau)
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Salvo, Selfportrait as Raffaello, 1970, Paul Maenz, Berlin Collection (Foto: Archivio Salvo, Torino)
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Alighiero Boetti, Gemelli, 1968, Fotomontage,
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