W. Eugene Smith, Pittsburgh, ritratto di una città industriale
Mit der digitalen Bilderflut im Netz ist nicht nur der Marktwert der Fotografie verloren gegangen sondern ebenso dramatisch scheint das Wissen um deren formalen Qualitätskriterien abhanden gekommen zu sein, welches die Voraussetzung bildet für die Vermittlung einer Botschaft. In der von Urs Stahel kuratierten Ausstellung des amerikanischen Magnum-Fotografen W. Eugene Smith in der Fondazione Mast in Bologna springt der Zusammenhang zwischen Inhalt und Form in jedem Bild direkt ins Bewusstsein.
Bei diesem obsessiven „Story-Teller“, welcher den Job bei „Life“ aufgab, um seiner Leidenschaft, als Realist eine „ehrliche Interpretation der Welt“ darzustellen und die „Essenz der Wirklichkeit“ aufzudecken, ist keine Komposition, keine Linie, kein Grauwert und keine Proportion dem Zufall überlassen. In den 170 Vintage-Abzügen seines unbeendeten Pittsburgh-Porträts, welches den Fotografen Mitte der Fünfziger über drei Jahre lang beschäftigt hat und welches aus über 20’000 Negativen besteht, greifen Erzählung und Gestaltung in einer seltenen Präzision und Differenziertheit ineinander. So meint Smith: „Es gibt keinen Konflikt zwischen dem Journalismus und meinem Künstler-Selbst. Um ein guter Journalist zu sein, muss ich möglichst der feinste Künstler sein.“ Bei diesem radikalen Meister der Reportage-Fotografie schlagen sich die akuten Beobachtungen im sorgfältigen Aufbau der Bilder nieder und entwickeln sich die Erkenntnisse während dem Arbeitsprozess sichtbar gedanklich und bildnerisch weiter. So ist seine Einsicht „Noch selten habe ich in meinen Reisen, meinen Erfahrungen solch akute Widersprüche wahrgenommen“, direkt in der Gestalt der Pittsburgh-Fotografien ablesbar. In stundenlangem Feilen in der Dunkelkammer sind die Schwarz-Weiss-Bilder sehr stark kontrastiert und die Mitteltöne meist durch subtile dunkelgraue Verläufe ersetzt worden. Die Flächen sind oft geteilt durch Schichtungen von Vorder- Mittel- und Hintergrund: in einigen Beispielen stellen die Layers auch ganz direkt die auseinanderklaffenden Gesellschaftsschichten dar. Elegante Herren, welche Gartenarbeitern beim Werken zusehen, Maurer vor flanierenden Stadtbürgern oder Bauarbeiter über den Köpfen von Einkaufsbummlerinnen. Das epische Stadtporträt, für dessen Publikation Smith eine 13’000 Dollar Offerte von „Life“ abgelehnt hat und welches einzig je im „Photography Annual 1959“ veröffentlicht worden ist, erinnert an die „Unsichtbaren Städte“ Italo Calvinos, da es die einzelnen Charakteristiken und Strukturen der Stadt heraus zu kristallisieren weiss und deren Prinzipien in einer ausgeklügelten visuellen Sprache für die Nachwelt aufzeichnet.