Materialintensität
Das Werk von Loredana Sperini ist derzeit in zwei Ausstellungen zu sehen: in der Casa Rusca in Locarno und im Dialog mit Andrea Heller bei Kupper Modern in Zürich. So ähnlich das intuitive Schaffen der Künstlerinnen, so kontrastreich sind ihre Motivation und Untersuchungsgegenstände.
Zürich — Bei Kupper Modern in Zürich konfrontieren sich die beiden Künstlerinnen Loredana Sperini (1970) und Andrea Heller (1975) in einem materialintensiven Dialog. ‹Liquid Shelter› – flüssiger Schutzraum nennen sie ihre Ausstellung. Ein Paradox. Es ist verblüffend, wie nah sich die beiden Positionen auf den ersten Blick zu sein scheinen. Beide experimentieren mit
Keramik und Textilem, beide präsentieren von Metallstrukturen hängende Skulpturen sowie Bilder und Objekte. Beide Künstlerinnen gehen in ihrem Werk intuitiv vor und betreiben intensive Materialrecherchen. Und dennoch zeigt sich in der Ausstellung der ganz eigene Ansatz jeder Künstlerin.
Andrea Heller lässt sich in ihrer Arbeit von der Intuition leiten, wie sie mit den Materialien experimentiert. In den monumentalen Tuschmalereien auf roher Baumwolle, verschwimmen die Farben ineinander: türkisgrün fliesst in dunkelgrün und dann in rotbrau oder rosa in dicken schlauchförmigen Strukturen, die sich durch das Bild schlängeln. Auch in den pillenartigen Glasobjekten verschmelzen unterschiedliche Farbtöne in feinen Verläufen ineinander. Die Keramikkacheln sind durch regelmässige Eindrücke und eingravierte Rillen strukturiert und bichrom mit Beige-, Grün- oder Blautönen glasiert.
«Neuanfang. Entwurzelung. Plötzliche Veränderung»: Mit diesen Worten umschreibt Loredana Sperini ihr aktuelles Schaffen. Dringlichkeit und innere Spannung sind in jedem der Werke unübersehbar. Von der Textilgestaltung herkommend – bekannt sind ihre frühen Stickbilder – inszeniert die Toggenburger Künstlerin in Skulpturen und Bildern unterschiedlichste Medien mit maximaler Kontrastwirkung. Während die Materialien von Stabilität und Fragilität, von Unzerstörbarkeit und Verletzlichkeit, von Schutz und Verlorensein erzählen, saugen sich die Formen voll mit Symbolik. Hausstrukturen beherbergen Tränen, Münder, Phallen. So baumeln in Zürich an einem Gestänge, das zwischen Infusionsständer und abstrahiertem Baum oszilliert, verschlungene Objekte, vielleicht Darmeingeweide, ein Uterus mit unbestimmbarem Inhalt, ineinander gestülpte Kegel als theoretisch unendlich modulare Reihe. Sperinis Werke kreisen um Sexualität, Häuslichkeit, Schutz, Ausgeliefertsein, Veränderung und Trauer – um universelle Themen, die unmittelbar berühren, während die Arbeiten von Andrea Heller Resultate eines Materialprozesses mit Fokus auf formale Fragestellungen und Differenzierungen darstellen.